Von Fellen in der Steinzeit bis zu Fast Fashion des 21. Jahrhundert – die Textilindustrie hat über die Jahrhunderte einen langen und nicht immer geradlinigen Weg zurückgelegt. Der rote Faden in der Entwicklung der Textilwirtschaft ist offensichtlich: Der Mensch muss sich bedecken, entweder zum Schutz vor Kälte oder aus Gründen einer empfundenen Scham, die schon Adam und Eva dazu gebracht haben soll, sich sittsam mit einem Feigenblatt zu bedecken.

Im Mittelalter war die Textilherstellung in Deutschland besonders im ländlichen Raum in den Mittelgebirgen weit verbreitet. Hier waren die klimatischen Bedingungen für den Flachsanbau günstig, die Schafhaltung weit verbreitet und damit der Nachschub der Rohstoffe Flachs und Schafwolle für die Weiterverarbeitung gesichert. Hergestellt wurde das Leinen oder Wollgewebe in der Regel in häuslichen Betrieben oder kleinen Textilbetrieben. Die Textilien waren in der Regel für den Eigenbedarf vorgesehen.

Weben und Spinnen für den Hausgebrauch

Im 16. und 17. Jahrhundert kam es erstmals zu einem Strukturwandel der vorindustriellen Textil- und Bekleidungsindustrie in Westeuropa. Steigende Bevölkerungszahlen schufen eine erhöhte Nachfrage an Textilien und führten zu einer Ausbreitung der Branche. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich infolge ein Verlagssystem, bei dem ein Verleger das Rohmaterial ankaufte, gegen Lohn verspinnen und weben ließ und das Textilprodukt anschließend verkaufte. Die Weber und Spinner stammten überwiegend aus den ländlichen Unterschichten, die ohne Landbesitz waren, und mit Lohnarbeitern den Unterhalt für sich und ihre Familien verdienen mussten.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert spitzte sich die Situation in der Textilindustrie in Westeuropa zu. Technische Innovationen wie die mechanische Webmaschine von Edmond Cartwright hatten Ende des 18. Jahrhunderts auf der britischen Insel bereits die Richtung angedeutet, in die die Textilproduktion weiter fortschreiten sollte: Mechanisierung der Arbeitsabläufe und Industrialisierung der Produktionsbedingungen.

England hatte aber nicht nur bei der technischen Entwicklung gegenüber Kontinentaleuropa die Nase vor. Die kolonialen Verbindungen zu Indien und zu amerikanischen Südstaaten und die Vormachtstellung als Seemacht hatten das britische Königreich schon im 16. und 17. Jahrhundert eine herausragende Import- und Exportstellung in der Textilindustrie ermöglicht. Im 19. Jahrhundert verdrängte Baumwolle dann auch folgerichtig Leinen und Wolle in der Textilproduktion. Diese Entwicklung ließ ganze Landstriche in den deutschen Mittelgebirgen verarmen und führte zu mehreren Weberaufständen. Die baumwoll- und seidenverarbeitende Textilindustrie im deutsch-niederländischen Grenzgebiet erlebte hingegen einen Aufschwung.

Globalisierung der Textilindustrie im 20. Jahrhundert

Die Textilindustrie muss sich neu erfinden.

Die Geschichte der Textilindustrie war schon immer bunt und global. Was bringt die Zukunft? (©istockphoto.com_oksix)

Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten mit Asien, Südamerika, Australien und Afrika neue Akteure in der weltweiten Textilindustrie auf. Sie wussten die Lücken, die die europäische Textilindustrie, die in den zwei verheerenden Weltkriegen in der jeweiligen Rüstungsindustrie eingebunden war, hinterlassen hatte, zu nutzen und eine moderne Textilindustrie aufzubauen. In den Nachkriegsjahren erhöhte sich die Nachfrage nach Textilien wieder. So entwickelte sich nach 1945 das Ruhrgebiet, mit tatkräftiger Unterstützung vieler Flüchtlinge und Vertriebener aus der Textilwirtschaft im Osten, zu einem wichtigen Standort der Bekleidungsindustrie in der Bundesrepublik.

Der Niedergang der westdeutschen Textilindustrie durch die Konkurrenz aus Fernost, Fehlinvestitionen im Zuge des Korea-Kriegs in den 50er Jahren und steigende Reallöhne ließ sich dennoch nicht aufhalten. In den 1960er bis 1980er Jahren wuchs die bundesdeutsche Textilindustrie unterdurchschnittlich. 1980 waren nur noch 2,2% der Arbeitnehmenden in der bundesdeutschen Textilindustrie beschäftigt. Dieser Negativtrend setzte sich weiter fort. Heute gibt es kaum noch deutsche Unternehmen mit Eigenproduktion im Inland.

Traditionsunternehmen und Fair-Trade im 21. Jahrhundert

Man kann diese Entwicklung begrüßen oder bedauern, überraschend ist sie nicht. Über die Jahrhunderte musste sich die Textilindustrie immer wieder neu erfinden. Im 21. Jahrhundert muss sich der Bürger in Deutschland und in Europa in der Regel nicht mehr sorgen, wie er sich vor Kälte schützt oder aus Scham bedeckt. Der Grundbedarf an Bekleidung ist gedeckt. Jetzt geht es in der Textil- und Bekleidungsindustrie neben technischen Textilien vorwiegend um Modeartikel, mit denen sich der Konsument von der Masse absetzen oder sich der Masse angleichen kann.

Mit der Globalisierung der Produktion – und der Globalisierung der Konsumenten – stellen sich für die Branche neue Fragen. Wie können kostengünstige Modeartikel zu vertretbaren Konditionen in Asien hergestellt werden? Wie muss eine Herstellerfirma aufgestellt sein, um sich am Markt zu behaupten? Wie kann der Wunsch der Konsumenten nach fair gehandelter und ökologisch-nachhaltiger Mode umgesetzt werden?

Qualitätsgedanke in der Textilindustrie: Unternehmergeist und Corporate Social Responsability

Während es auf die erste Frage auch nach mehreren Unfällen mit Toten in Produktionsstätten in Asien weiterhin keine einfache Antwort gibt und die Initiative der Gesetzgeber auf nationaler und internationaler Bühne wie der WTO gefragt ist, zeigt die Erfolgsgeschichte des Traditionsunternehmens van Laack, wie eine Herstellerfirma den Strukturwandel in der Bekleidungs- und Textilindustrie positiv angeht. Das Unternehmen mit Sitz in Mönchengladbach hat sich seit der Gründung 1881 mit exklusiven Hemden einen Namen gemacht und hat den Markenkern erfolgreich ins 21. Jahrhundert hinübergerettet.

Heute stellt van Laack hochwertige Hemden und Blusen sowie andere Modeartikel in Eigenproduktion in Asien her und verkauft sie weltweit unter anderem in Flagshipstores. Außerdem bietet das Traditionsunternehmen maßgeschneiderte Hemden an, die bei „Maßevents“ in deutschen Großstädten zusammengestellt werden, und bedient damit ein exklusives Bedürfnis im oberen Preissegment. In der firmeneigenen Produktionsstätte in Vietnam hat das Unternehmen im Rahmen der Corporate Social Responsability hohe Umwelt- und Sozialstandards implementiert. Van Laack engagiert sich zudem in der Non-Profit-Organisation Fair Wear Foundation.

Eine eigene Produktionsstätte ist nicht für jedes Unternehmen und jedes Preissegment realistisch oder erstrebenswert. Newcomer am Markt wie Armedangels, Grüne Erde, hessnatur, Recolution oder ThokkThokk gehen daher einen anderen Weg. Ihre Eco-Fashion ist zertifizierte Fair-Trade-Mode, die auch über Online-Plattformen wie Avocado-Store vertrieben wird. Diese neuen Konzepte und Vertriebswege werden dem Wunsch nach kostengünstiger Discounter-Ware oder Fast Fashion mit bis zu zwölf Kollektionen im Jahr keinen Einhalt gebieten. Sie sind aber ein Anfang für die nächste Etappe in der Geschichte der Textilindustrie.

 

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